Verantwortung abzuschieben und durch sinnentleerte Kommunikation zu ersetzen ist – nicht nur in Österreich – zum Programm geworden. Egoismen, Egoisten und Ich-Erzähler*innen haben sich in den Vordergrund gerückt. Dabei wird die Welt immer unsicherer und volatiler. Es fehlt vor allem in Führungskreisen an Verantwortung und Verantwortlichkeit aber auch an großen, visionären Ideen und an Kompetenz. Diesen Zustand zu überwinden bildet die Grundlage für die Überwindung der Krisen der Zeit. Und am besten beginnen wir damit rasch bei uns selbst: #AEIOU.
Vieles ist passiert, Vieles hat sich verändert, seit meinem letzten Blogeintrag im Jahr 2019. Daher möchte ich noch vor dem Ende dieses widersprüchlichen Jahres 2020, das ein „bewegtes Jahr mit viel Stillstand“ war, eine neue Seite beschreiben und meine Gedanken teilen. In einer solchen Zeit ist es oft gut auf bewährte Dinge und Symbole zurückzugreifen, die Hoffnung in sich tragen. Das mystische nationale Symbol Österreichs, die vielfach interpretierte Vokalfolge „A.E.I.O.U.“ von Kaiser Friedrich III. (H.R.R.) ist ein Ausdruck dafür. Es ist das „Yes we can“, das „E Pluribus Unum“, das ewige „Glaubt an dieses Österreich“ und kann auch als Leitbild für die Zukunft dienen, die wir gemeinsam gestalten müssen.
Am 21. Juli 2019 war die Welt noch eine andere. Der Klimawandel und Greta Thunberg waren zentrale Themen und Donald Trump unterhielt die Welt mit seinen oftmals provokanten Twitter-Meldungen. Trump und die Wahl Bolsonaros in Brasilien trugen nicht dazu bei, die Hoffnungen auf rasche Lösungen für die Klimakrise zu beflügeln. Die etwas frustrierenden Europawahlen – wo trotz aller Beteuerungen wieder nicht das Europäische Parlament für die Besetzung der EU-Kommission den Ausschlag gab – lagen hinter uns. In der Folge wurde die Deutsche Ursula von der Leyen, der man eine gewisse Ambition nicht absprechen kann, in dieses Amt gehoben. Nach dem sogenannten „Ibiza-Skandal“ von HC Strache und der FPÖ standen in Österreich am 29. September auch Wahlen zum Nationalrat bevor. Eine vielfach gelobte Beamt*innen-Regierung unter Bundeskanzlerin Bierlein – die aber vor allem Stillstand bedeutete – hatte nach einem erfolgreichen Misstrauensantrag der SPÖ mit Unterstützung der FPÖ und JETZT gegen die Regierung Kurz I, die Regierungsgeschäfte in Österreich übernommen und der Wahlkampf war in vollem Gange. Die Türkise Bewegung von Sebastian Kurz befand sich aber weiterhin im Aufwind. In der Folge kam es zur Bildung einer Türkis-Grünen Bundesregierung, wiederum unter Kurz. Und auch der Brexit beschäftigte die Europäische Union und trug zum allgemeinen Gefühl wachsender Unsicherheit bei. Ende 2019 konnte man in China den Ausbruch einer Epidemie eines noch unbekannten Corona-Virus beobachten, das viele zuerst nicht wirklich ernst genommen hatten. Erst Anfang des heurigen Jahres zeichnete es sich ab, dass dieses Virus, das in der Folge SARS-CoV-2 genannt wurde, sich zur Pandemie auswachsen und die ganze Welt in Atem halten und zum Stillstand verurteilen würde. Seitdem gibt es nicht viel anderes als sich mit dem Virus und seinen Folgen zu beschäftigen. Die allgemeine Unsicherheit wurde weiterhin weltweit durch islamistische Terroranschläge erhöht, wobei es am 2. November 2020 auch Wien getroffen hat. Und im sogenannten „Osten“ Europas tun sich immer größere Gräben auf, die es für Europa nicht einfach machen die Krise zu bekämpfen und gemeinsam in eine erfolgreiche Zukunft zu schauen. Vor allem Polen und Ungarn aber auch Tschechien, die Slowakei und Bulgarien machen durch ihre oppositionellen Haltungen viele Entscheidungen fast unmöglich. Und schließlich haben wir eine Presselandschaft, deren inhaltliche Vielfalt zunehmend verloren geht und die vor allem auf Quote, Verkaufszahlen und Inserate achtet und weniger auf ihre gesellschaftliche Rolle und wo die progressive Presse fast nicht mehr vorkommt.
2020 hat aber auch Aspekte mit sich gebracht, die eine mögliche Wende aufzeigen und vielleicht dazu dienen, die Krise auch als Chance begreifen zu können. Einer, der das aufzeigt ist Sigmar Gabriel, der ehemalige deutsche Vizekanzler, Außen- und Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende, in seinem Buch „Mehr Mut“, wo er dazu auffordert die Komfortzone zu verlassen und im Geist der europäischen Aufklärung neu aufzubrechen. Vieles davon kann auch für Österreich gut sein. Inzwischen zeichnet es sich auch ab, dass aus der Krise gelernt wird und die immensen Gelder der EU zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen derart eingesetzt werden sollen, dass sie auch der sich fortsetzende Klimakatastrophe entgegenwirken. Dann gab es – wie im Burgendland und in Wien – wieder Wahlen, die einen anderen Trend offenbarten und zu progressiven Mehrheiten führten, was für mich bedeutet, dass den Menschen Ziele, Werte und Inhalte am Ende doch wichtiger sind als perfekte Kommunikation.
Doch was braucht es für einen neuen Anfang, für einen Aufbruch in eine neue Zeit? Zunächst braucht es Verantwortung und die allgemeine Erkenntnis, dass nicht nur „die da Oben“ es richten, sondern wir alle unseren Beitrag dazu leisten können und müssen, dass es uns wieder besser gehen kann und wir die Krisen und Probleme im Kleinen und im Großen lösen können. Es gibt viele Menschen, die das erkannt haben und bereits ihren Beitrag leisten. Aber viele müssen das noch lernen. Es hilft uns auch nicht weiter uns bei Wahlen in den Protestmodus zu begeben oder „Querzudenken“ oder uns „Alternativen“ zuzuwenden. Am besten ist es immer noch das Gute und Bewährte zu identifizieren, zu bewahren oder wieder zu erlangen und dort, wo Defizite erkannt werden, diese zu beseitigen. Dazu zählt auch, dass wir in Österreich zuerst die Verantwortung für unser Handeln übernehmen müssen und es weniger Regierungs-PR und dafür mehr kritischer, dialektischer Auseinandersetzung und einer progressiven Presse bedarf. Aber auch das, was ich mit „moralischer Superiorität“ bezeichnen möchte, also der Glaube daran, dass nur die eigenen Ziele und Ideen und die Wege sie zu erreichen, die einzig richtigen sind und alle anderen falsch liegen müssen – wie es insbesondere bei den Grünen weit verbreitet ist – ist Feind einer dialektischen Auseinandersetzung und Lösungsfindung.
Gute Politik bedeutet, dass in einem dialektischen Prozess alle Handlungsoptionen erarbeitet, abgewogen und die besten davon professionell umgesetzt werden. Gute Politik hat aber auch Visionen und denkt in großen Zusammenhängen. Das passiert derzeit nur in den wenigsten Fällen. In Österreich sind Professionalität, Kompetenz und dialektisches Denken selten geworden. Die großen Zusammenhänge, Ziele und Projekten werden immer mehr aus den Augen verloren. Und am wenigsten ist das alles in der aktuellen Bundesregierung zu finden. Da es in erster Linie nur um Selbstdarstellung geht, ist auch der Weitblick als wesentliche Tugend abhandengekommen. Österreich beschäftigt sich nur mehr mit sich selbst und verliert dabei seine Verantwortung in Europa und der Welt aus den Augen. Das zeigt sich nicht nur bei der Haltung in der Flüchtlingsfrage – speziell in Moria / Kara Tepe (Griechenland), wo ein Wegschauen die schlechteste aller Optionen ist sowie in der Zuwanderungsrhetorik. Das zeigt sich auch im Umgang mit der Corona-Pandemie, wo man sich im Wettbewerb mit anderen Nationen sieht und damit am Ende krass auf die Nase gefallen ist, als die „Vergleichswerte“ nicht mehr herzeigbar waren und das Mantra „wir sind besser als die anderen durch die Krise gekommen“ von der Realität mehrfach überholt wurde. Aber vor allem zeigt es sich in der nicht vorhandenen Außen- und Europapolitik der Regierung Kurz, die sich auf unheilige Allianzen stützt und keine nachvollziehbare Linie erkennen lässt, außer jene, die Selbstdarstellung zu bebildern.
Österreich hat zuallererst die Verantwortung sich der Tatsache bewusst zu werden, dass es keine neutrale Insel der Seligen ist. Österreich liegt immer noch im Herzen Europas und sollte sich seiner historischen Rolle und Verantwortung erinnern, dass es am Kreuzungspunkt Europas auch eine zentrale Rolle im Ausgleich der Interessen spielen muss und nicht dazu beitragen darf, die Gräben wieder zu vertiefen. Dazu gehört auch eine Politik für den Donauraum, die sich nicht auf die aktuelle Visegrád-Denkweise zurückzieht, sondern die versucht das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen. Die aktuellen Krisen und Probleme der Europäischen Union beweisen, dass die Überwindung des Nationalismus eine der wesentlichen historischen, aktuellen und zukünftigen Aufgaben Österreichs ist. Daher ist es angesagt durch eine kluge Politik der Kooperation auf allen Ebenen und des aufeinander Zugehens die vereinten Stärken des zentraleuropäischen Donauraumes dafür zu nützen auch Europa in eine für alle bessere Zukunft zu führen. Auch die Visionen und großen Projekte fehlen zusehends, doch nur diese können uns im Umgang mit der Corona-Krise aber auch bei der Bekämpfung des Klimawandels weiterbringen. Neulich habe ich mir bei einem Glas „Wiener Wasser“ gedacht, was wäre, wenn man im 19. Jahrhundert nicht so visionär gewesen wäre und die Hochquellwasserleitungen geplant und gebaut hätte? Und heute ist es für alle selbstverständlich, dass es in Wien großartiges Trinkwasser aus der Leitung gibt.
Die Umgestaltung Österreichs muss daher zuerst im Kopf beginnen und die Kleingeistigkeit, die sich in einer bildungsfernen und narzisstischen Regierung widerspiegelt, überwinden, um der Weltoffenheit, der Bildung, der Kultur aber auch der Qualität im Tun und Handeln mehr Raum zu geben. Dies muss in die Überwindung alter – vor allem gedanklicher – Barrieren, Grenzen und Vorurteile zwischen Nationen und sogenannten „Ständen“ und „Klassen“ münden. Österreich war immer dann groß und erfolgreich, wenn es Ausgleich und Gewinnsituationen für alle geschaffen hat und fast niemals, wenn es um direkte Konfrontation gegangen ist. Daher braucht es endlich wieder eine progressive Politik, die die aktuellen Fragen und Probleme breit dialektisch diskutiert, wissenschaftsbasiert analysiert, uns eine positive Vision und klare – aber auch große – Ziele für die Zukunft gibt und dabei niemanden zurücklässt. Es brauch aber vor allem eine Politik, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. #AEIOU