Das gerne verwendete Zitat des Wiener Bürgermeisters, Michael Häupl, birgt mehr Wahrheit in sich, als dieser selbst vielleicht vermutet hat. Da viel Wahrheit auch viel Raum einnimmt, ist der folgende Text auch kein „normaler“ Blog, sondern eine persönliche Betrachtung im aktuell anlaufenden Wahlkampf, einiger seiner Themen und Darsteller am Beispiel der SPÖ und warum Scheinheiligkeit keine Politik ist.
Scheinheiligkeit ist keine Politik.
Als zutiefst politisch denkender Mensch bereitet es mir häufig geradezu innerliche Schmerzen, wenn ich erkenne, wie sich die politische Landschaft und die Politik an sich entwickeln. Kleingeistigkeit und Visionslosigkeit sind zur Normalität geworden. Es wächst daher die Erkenntnis in mir, dass das politische und gesellschaftliche System Österreichs, Europas und der Welt einer Korrektur oder einer Eichung größeren Ausmaßes bedarf. Dies kann im Kleinen drastisch am Beispiel der österreichischen Parteien gezeigt werden, die offensichtlich vielfach ihren inneren Kompass verloren haben.
Dem kann man nur mit Visionen aber auch mit klaren Entscheidungen entgegentreten. Klare Entscheidungen können aber auch Schmerzen bereiten. Doch ist starker aber kurzer Schmerz meist leichter zu ertragen als leichter chronischer.
Zur Sozialdemokratie und ihren Wettbewerbern
Es ist kein Geheimnis, dass die sozialdemokratischen Parteien Europas und mit ihnen die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) schon seit langem mit sinkenden Mitgliederzahlen, sinkender Beteiligung, sinkender Zustimmung in Umfragen und bei Wahlen und zunehmender Kritik in den Medien, am Stammtisch und in der öffentlichen Diskussion kämpfen. Das passiert, obwohl grundlegende Ziele und Werte der Sozialdemokratie, nämlich „Freiheit, Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität“ für die meisten Menschen erstrebenswert sind und auch von anderen Parteien geteilt werden. Andererseits erleben Bewegungen aus allen ideologischen Richtungen einen Aufschwung, den man bisher nicht für möglich gehalten hat.
Des Pudels Kern liegt aber wahrscheinlich darin, dass es trotz dieser starken und geradezu universalen Werte der Sozialdemokratie, keine gemeinsame Linie und nur wenige gemeinsame Vorstellungen gibt, was den Gehalt und das Leben dieser Werte und Ziele betrifft. Auch entfernt man sich zusehends von europäischen Werten, also jenen der Aufklärung, glaubt aber genau diese hochzuhalten. Hier fehlt die Eichung, die nur in einer offenen Diskussion innerhalb aber auch außerhalb der eigenen Blase stattfinden kann. Dies muss aber eine ehrliche, dialektische auch tabulose politische Diskussion sein und nicht das Beharren auf der jeweils eigenen Sichtweise. Oft wird eine Wertediskussion auch nur vorgeschoben, um den eigenen – prinzipiellen, dogmatischen – Standpunkt zu zementieren. Mit dem Leitspruch: „Über Werte ist nicht zu diskutieren“ wird freies Denken verunmöglicht. Werte liegen also quasi im Auge des Betrachters. Eine Volkspartei wie die SPÖ in Wien, die Regierungsverantwortung beansprucht, darf aber nicht Selbstzweck sein und nur die Sicht einiger Menschen (zum Beispiel im eigenen Bezirk) vertreten. Sie hat auch die Pflicht auf das große Ganze und darauf zu schauen, was ihr potentielles Wahlvolk in seiner Gesamtheit wünscht. Denn sonst ist sie keine Partei, sondern eine einfache Interessensvertretung und wird damit leicht zu einem Randphänomen. Und auch Werte müssen immer wieder „geeicht“ werden. Dies zu erkennen und danach zu handeln kann aber mitunter die ideologische Komfortzone überschreiten.
Die Stärke der SPÖ ist immer noch viele engagierte Menschen zu beherbergen, die für die Verwirklichung der Werte dieser Partei tatsächlich und tagtäglich große Beiträge leisten und – wie man das so sagt – dafür laufen. Sie besitzt also Potential. Viele „laufen“ aber auch für Werte, wie sie diese nur selbst verstehen, verstehen wollen oder für sich definieren. Das mag durchaus aus hehren Motiven geschehen. Es kann aber auch andere – rein prinzipielle, dogmatische oder machtpolitische – Gründe haben. Doch was die Werte und Ziele dieser sozialdemokratischen Bewegung tatsächlich sind oder sein sollen, darüber besteht schon lange keine Einigkeit mehr. Weder in Europa, noch in Österreich noch in Wien und oftmals auch nicht im eigenen Bezirk. Sicher bin ich mir aber darin, was meiner Ansicht nach kein Wert der Sozialdemokratie ist, nämlich „Scheinheiligkeit“!
Natürlich gibt es viele Fragen zu beantworten und Probleme zu lösen, um die Ziele und Werte der Sozialdemokratie zu definieren und in einem weiteren Schritt zu verwirklichen. Um dies erreichen zu können, gilt es aber auch Wahlen zu schlagen und zu gewinnen. Nur wie kann man Wahlen gewinnen, ohne die Menschen, also die Wählerinnen und Wähler, zu überzeugen, dass man die Partei ist, die ihre Interessen vertritt?
Es ist schon richtig, dass eine Partei auch die Aufgabe hat ihre Interessen und Ziele zu den Zielen Ihrer Wählerinnen und Wähler zu machen. Sonst bräuchte es ja keiner Partei. Dafür muss man aber auch überzeugt sein von seinen Werten und Zielen. Aber das ist natürlich nicht alles. Auch die Ziele und Werte einer Partei, die mehrheitsfähig sein will und zu regieren gedenkt, müssen mit den – oftmals bloß emotionalen – Zielen, Wünschen und Werten zumindest einer relativen Mehrheit der potentiellen Wählerinnen und Wähler übereinstimmen. Denn sonst wird sich niemand davon angesprochen fühlen und schon gar nicht aus seiner ideologischen Blase ausbrechen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur rein rationale, sondern auch emotionale, kulturelle oder auch religiöse Befindlichkeiten eine Rolle spielen. Dem wiederum kann man nur mit Sachlichkeit und Rationalität begegnen.
Der Punkt an dem es weh tut
Eine Vorfrage ist für mich, was ist denn die Aufgabe einer (politischen) Partei? Aus meiner Sicht ist das Wesen einer politischen Partei danach zu streben, möglichst viel politische Mitsprache zu erringen, um ihre eigenen sachlichen oder ideellen Ziele zu verwirklichen. Eine weitere wichtige Frage ist: Was ist eigentlich Aufgabe der (staatlichen) Politik? Staatspolitik heißt für mich in erster Linie gemeinsame Interessen vor Einzelinteressen zu stellen und zweitens muss man auch die Frage beantworten, wen die Politik eigentlich vertreten soll. Darauf ist meine Antwort auch sehr klar: In erster Linie jene Wahlberechtigten oder jene potentiell wahlberechtigen Personen innerhalb des betroffenen Gemeinwesens (Gemeinde, Stadt oder Land).
Beispielhaft für diese Diskussion ist die „Flüchtlings- und Migrationspolitik“ in der insbesondere die Sozialdemokratie aber inzwischen auch die Grünen scheinbar geeint gespalten sind. Aber warum? Vielleicht, weil jenen nicht mehr zugehört wird, die wählen dürfen und zwar nicht gerade arm aber auch nicht privilegiert und weder Flüchtlinge oder Migrantinnen bzw Migranten sind und auch ihre tagtäglichen Probleme haben? Deren Probleme manchen "zu klein" oder "zu egoistisch" erscheinen. Oder vielleicht weil die Augen vor Problemen verschlossen werden, die existieren und von vielen gesehen werden, nur um (in der eigenen Blase) ja nicht anzuecken? Doch genau das ist das Verhalten, das eine Partei für ihre potentiellen Wählerinnen und Wähler unglaubwürdig oder unwählbar macht. Es darf keine Rede oder Denkverbote – für niemanden – geben, auch keine „moralischen“. Auch das hat die „Aufklärung“ verbrieft. Und Migrationspolitik muss auch ein – rationales – Wahlkampfthema sein, weil es die Menschen betrifft und bewegt auch wenn es nicht alles dominieren sollte. Sebastian Kurz und die neue ÖVP leben hier von schäumenden Emotionen, diese Emotionen müssen dem Thema durch Versachlichung genommen werden, um wieder auf den Boden des Fasses blicken zu können.
Insbesondere Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bekennen sich zu internationaler Solidarität, doch auch diese Solidarität ist keine Einbahn. Wenn es um Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention geht, dann ist der Diskussionsspielraum für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten natürlich eingeschränkt, schon vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte. Aber auch hier ist die Welt nicht gänzlich schwarz-weiß, sondern eher bunt. Daher ist eine dialektische Betrachtung wesentlich, um zu einem richtigen Schluss zu gelangen.
Natürlich gibt es neben den ankerkannten Fluchtgründen auch (zu)viel Armut und Chancenlosigkeit auf der Welt und noch mehr Menschen die sich auf die Suche nach Chancen machen. Doch Chancen erlangt man auch nicht besonders gut und glücklich zum Nachteil anderer. Wir müssen uns hier auch vor Augen führen, dass sehr viele Menschen in Österreich, wenn es darauf ankam und Menschen in Not sprichwörtlich vor der Türe standen, sich als hilfsbereit und solidarisch erwiesen haben. Die langfristige Politik hat sich hier aber weniger solidarisch gezeigt. Hier gibt es die erschreckende Tendenz immer wieder Mittel auf populistische Art zu kürzen, ohne die Konsequenzen zu beachten. Manch ein Politiker trägt das auch im Namen. Man schaue sich in diesem Zusammenhang insbesondere die stiefmütterlich behandelte Entwicklungszusammenarbeit an. Internationale Solidarität kennt man nur in Sonntagsreden, aber zu Taten führen diese sehr selten. Sebastian Kurz hat genau das perfektioniert. Er schafft es die uralte „Außenfeinddoktrin“ auf allen Ebenen für sich nutzbar zu machen. Zusätzlich schafft er es damit von allen anderen Themen und von der bewusst kalkulierten Inhaltslosigkeit seiner Politik abzulenken. Damit schafft er es auch „sauber“ und unantastbar zu bleiben. Kurz ist insofern Machiavellist und Wolfgang Schüssel sein Lehrmeister.
Es ist aber auch keine Option, wenn das offizielle Österreich im merkelschen Sinne einfach sagt: „Kommt alle zu uns, wir schaffen das!“ Das halte ich für eine Art Realitätsverweigerung, deren Folge die Überforderung unserer Gesellschaft – ob hinsichtlich der Ressourcen oder in einem emotionalen/ kulturellen Sinne – führt. Denn das schafft in vielen aktuellen, ehemaligen und potentiellen Wählerinnen und Wählern der (nicht nur) der Sozialdemokraten das Gefühl: „Die – nämlich die sogenannten Eliten – entscheiden über unsere Köpfe hinweg über etwas, was wir am Ende ausbaden müssen!“ Das schafft genau jene Emotion, nämlich „Trotz“, die jenen politischen Mitbewerbern – die die Klaviatur der Emotionen und des Eingehens auf die Stimmung im Volk besser beherrschen – in die Hände spielt. Das ist auch dieselbe Emotion, die von einem kategorischen „Nein“ zu einer Koalition mit gewissen Parteien als Wahlmotiv geschürt wird. Und schließlich ist das definitiv keine Vertretung der Interessen von potentiellen Wählerinnen und Wählern.
Tatsache ist, ein Land kann und soll nicht mehr Menschen aufnehmen, als es auch integrieren kann. Insbesondere nicht dann, wenn sich alle anderen Länder – um ein solches Land herum – dieser Verantwortung entziehen. Das Opfer des sozialen Friedens ist nämlich zu groß und nützt am Ende auch niemandem. Zur Integrationsfähigkeit gehört aus meiner Sicht insbesondere auch die kulturelle, politische, emotionale und religiöse Integrationsfähigkeit.
Genau hier wäre es die Aufgabe vernunftgesteuerter Politik auf internationalem Parkett in der „guten alten diplomatischen Tradition“ (die gerade eine österreichische Stärke ist) zu agieren und diese „alten“ Fähigkeiten geschickt einzusetzen und zu nutzen. Bruno Kreisky würde sich zum wiederholten Male im Grabe umdrehen, wenn er den derzeitigen Zustand der gesamten österreichischen Außenpolitik sehen würde. Insbesondere die sozialdemokratische Außenpolitik in Österreich und die Europapolitik sind ein Jammertal, um die sich rasch gekümmert werden muss und die ein ideales Spielfeld wären, um in einem positiven Sinne dem Kurz‘schen Machiavellismus zu begegnen.
Freiheit erfordert auch eine gewisse Gleichheit
Freiheit kann nur entstehen, wenn alle auch die gleichen Voraussetzungen vorfinden. Einen kleinen Einblick, wie das funktioniert, kann man noch erhalten, wenn man sich Europa und die Welt vor dem Jahr 1914 ansieht, wo man von Indien bis in die USA ohne Reisepass unterwegs sein konnte. Voraussetzung dafür war, dass das Wohlstandsgefälle zwischen den Ländern der Welt eine andere Ausprägung hatte. Daher ist es aber notwendig, dass heute das Gros der Migration so lange kontrolliert stattfinden, bis ein gewisses Maß an Ausgleich hergestellt ist. Das war im Übrigen auch immer ein Prinzip der Europäischen Union. Zu erfolgreicher Außenpolitik gehört insbesondere, dass andere Mitglieder der Staatengemeinschaft dazu bewogen werden, einen Teil der Migrationslast mittragen und, dass jene, die zu große Last tragen müssen, unterstützt werden. Dazu gehört auch, dass geeignete Ziel- und Aufnahmeländer für gewisse Gruppen von Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten identifiziert werden, um kulturelle und religiöse Spannungen zu vermeiden. Dazu gehört aktive Flucht und Migrationspolitik unter Einbeziehung der multilateralen Organismen. Und schließlich muss fieberhaft daran gearbeitet werden, dass Krisenherde entschärft oder beseitigt werden. Das heißt aber auch, dass man oft Kompromisse eingehen muss, die vielleicht ideologisch wehtun, jedoch vielen Ihr Leben, ihre Gesundheit und damit ihre Chancen erhalten. So sein an dieser Stelle in den Raum gestellt, was die applaudierende Unterstützung der diversen Frühlingsbewegungen im arabischen Raum gebracht hat – außer Mord, Tod und noch mehr Repression.
Und schließlich, woher kommt die Zerrissenheit der Politik?
Es gibt viele Fragen, die zum Erfolg oder Misserfolg einer Bewegung führen. Für die Sozialdemokratie schaut meine stichwortartige Analyse, woran es kranken könnte, wie folgt aus: Niemand kümmert sich ausreichend um die Partei an sich, das bedeutet im Einzelnen: Es fehlen derzeit moderierende und ausgleichende Elemente und es wird zu wenig versucht die jeweils andere Seite zu verstehen. Es gibt viele Wünsche aber wenig gemeinsame Ziele. Es findet zu wenig ernstzunehmende interne Vernetzung statt und Kompetenzen werden nicht in vollem Umfang genützt. Wie in den sozialen Medien global, leben auch innerhalb der SPÖ viele in ihrer Blase, in der man selbst weiter bestärkt wird. Es wird gemacht, was im Augenblick für richtig empfunden wird, es gibt aber keine langfristigen Strategien, sondern nur Aktion und Reaktion. Es gibt andererseits ständig neue Strategien und Methoden, ohne das Alte konsequent zu Ende zu führen. Es gibt kein einheitliches Auftreten. Diverse Think-tanks werden nicht wirklich gefördert und gefordert. Es fehlt oftmals der persönliche Sinn, für ein Engagement, insbesondere wenn dem Einzelnen nichts zurückgegeben wird. Es gibt keine vernünftigen Publikationen mehr – Stichwort Arbeiterzeitung – die grundsätzliche Diskussionen auf breiter Ebene ermöglichen. Andererseits gibt es einen Überfluss an Information, die niemand benötigt. Es mangelt an gegenseitiger Unterstützung mit Ressourcen. Wo sind beispielsweise die breiten Möglichkeiten für Einzelne sich in und durch die Partei zu entwickeln oder einen Austausch mit der Wirtschaft zu pflegen? Nur schlichte PR und Reaktion ist einfach zu wenig, um eine gesunde und nachhaltige Organisation zu schaffen. Das sind aber nur diverse (wenn auch wichtige) Nebenschauplätze.
Zentral ist die Frage: Was sind die Prinzipien einer Partei? Bevor man sich nicht darüber im Klaren ist (und diese Diskussion kann und muss in der SPÖ intern mit aller Härte geführt werden) was der Grundkonsens der sozialdemokratischen Bewegung ist, gibt es kein Weiterkommen. Daher müssen gerade jene Dinge diskutiert werden, die vielleicht einigen Schmerzen bereiten. Und diese Diskussion muss – ohne gegenseitige Anschuldigungen und ohne jemanden in ein rechtes oder linkes Eck zu stellen – hart aber fair geführt werden. Denn nur weil vermeintlich Themen angesprochen werden, die von politisch rechten ständig missbraucht werden, heißt das nicht, dass ein solches Thema per se auch „rechts“ ist. Auch ist es nicht verwerflich für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten genau solche Themen anzupacken – im Gegenteil. Insbesondere betrifft das die Themen „Religionsfreiheit“, „Recht und Ordnung“ sowie „Flucht und Migration“ und die damit verbundenen Probleme und gesellschaftlichen Fragen, die wie ein heißes Eisen oft erst gar nicht so angegriffen werden, dass man ihre kritischen Seiten betrachten kann. Warum ist das heute oft anders? Alles das, was heute manchmal als „links“ oder „rechts“ bezeichnet wird, ist in der Realität oder war in der Geschichte oft Seitenverkehrt. Sozialistinnen und Sozialisten waren – zumindest am Anfang ihrer Geschichte und durch viele Jahrzehnte – doch immer kritisch, was die Bevormundung durch den Staat und insbesondere durch Religionsgemeinschaften betrifft – auch wenn Sie inhaltlich viele gemeinsame Werte haben. Unter Recht und Ordnung wurde „Rechtsstaatlichkeit“, also das Handeln auf der Basis von Gesetzen – insbesondere auf Basis der Grundrechte – verstanden. Warum soll das im Hinblick auf den Umgang mit einer bestimmten Religion nun anders sein? Auf der anderen Seite ist es so, dass Religionskritik in Richtung der bisher in Europa etablierten Religionen sehr in Mode ist ohne zu trennen, ob sich die Kritik an die Institution Kirche oder gegen die eigentlichen Inhalte einer Religion richtet.
Wesentlich ist aber für jede europäische Partei und insbesondere für Sozialdemokratische: Es darf der Erfolg der europäischen Aufklärung nicht riskiert werden. Auch nicht durch die Toleranz der Zuwanderung von Menschen, die diese Werte nicht unterstützen. Es muss Grenzen der Toleranz zur Intoleranz geben. Und es muss Grenzen der Toleranz geben, wo die lange entwickelte europäische Lebensweise und Kultur in Frage gestellt werden. Europa und gerade Österreich, im Besonderen vor den beiden Weltkriegen, hat es am Ende immer geschafft viel Gutes aus anderen Kulturen zu übernehmen und zu integrieren, das soll auch weiterhin so sein. Alles andere kann und soll mit offenem Ergebnis diskutiert werden. Wesentlich ist, dass am Ende erreicht wird, dass eine größtmögliche Zahl an Menschen unter dem Schutz des Rechts in Freiheit und Sicherheit leben kann.
Die Vision am Ende
Viele predigen Veränderung, aber was sie unter Veränderung verstehen, sagen sie nicht. Deshalb möchte ich schließlich die Frage in den Raum stellen, warum nur mehr wenige auf wirklich große Visionen bauen. Visionen, die über den Status quo hinausgehen, Visionen, die die Systemfrage stellen, Visionen, die das Beste aus den Erfahrungen der Vergangenheit herausholen. Natürlich müssen wir uns auf ein politisches System einigen, das für uns alle die beste Grundlage für unser Zusammenleben bietet. Hier gibt es oft sehr unterschiedliche Vorstellungen entlang der politischen Landschaft. Ein Gemeinwesen, das möglichst allen ein gutes Gefühl vermittelt, sollte aus meiner Sicht die grundlegenden Bedürfnisse nach Absicherung des Daseins, Chancengleichheit, Freiheit aber auch von Sicherheit, Kontinuität und der Möglichkeit sich mit diesem Gemeinwesen zu identifizieren bieten. Dazu bedarf es eines politischen Systems, das diese Dinge möglich macht. Ein politisches System sollte die Erfahrungen der Vergangenheit und die Wünsche und Sehnsüchte der Gegenwart miteinander kombinieren. Es muss sich anpassen können. Aber es sollte auch Stabilität und Vertrauen garantieren. Dazu sollten wir endlich alle Erfahrungen aus allen politischen Systemen in einem Topf mischen und zu einer idealen Form kombinieren. Aus meiner Sicht kann nur die (immer wieder zu überprüfende) Kombination aus allen möglichen Staatsformen eine solche Idealform bieten, die einer größtmöglichen Anzahl von Personen die Möglichkeit bietet sich mit ihr zu identifizieren.